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22. Juni 2015

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Von Migrantenliteratur zu Migrantenliteratur/22062015

Für den Blog des Literaturhaus Europa aufgeschrieben:  Beim ersten Roman, den ich schrieb, liebten sie mich, ein bisschen für den Roman und ein bisschen für meine Geschichte: Ich war dreiundzwanzig. Ich war mit elf erst nach Deutschland gekommen, ohne ein Wort dieser Sprache zu können. Nun schrieb ich einen Roman über ein elfjähriges Mädchen, das nach Deutschland kommt, ohne ein Wort dieser Sprache zu können. Die Geschichte gefiel. Und die im Roman, das war selbstverständlich nicht meine. Für den zweiten Roman musste ich zum Schreiben Deutschland verlassen, um dieser Geschichte über mich und auch mir selbst zu entkommen, ich ging nach Israel, wo mich niemand kannte, ich reiste viel und lebte mehr vor mich hin als dass ich etwas tat, und schrieb an Weihnachten, das ich in jenem Jahr nicht feierte, den Großteil des wie eine große, tiefe Wolke über mir hängende schwebenden zweiten Romans. Ich mochte ihn nicht, während ich daran schrieb und auch zu keinem späteren Zeitpunkt. Er spielte in Israel, zumindest zum Teil. Weil ich den zweiten Roman nicht mochte, schrieb ich keinen dritten, dafür aber drei Bücher, die ich nur Bücher nannte, eines davon ein politisches sogar, keines davon machte mir besonders viel Mühe, und ich war immer noch ich. Und sie liebten nach wie vor meine Geschichte. Der nächste Roman war möglicherweise in Wirklichkeit der zweite, ich schrieb Jahre daran, was untypisch war, und achtete penibelst darauf, mich beim Schreiben von mir selbst zu entfernen. Und achtete bei den Fragen darauf, ob sie mich weiterhin vereinnahmen. Ob sie weiterhin an das Mädchen gerichtet waren, das einst, mit elf Jahren, nach Deutschland gekommen war, ohne ein Wort dieser Sprache zu können, und nun Romane schrieb. Migrantenliteratur sagten sie, und dann sagten sie noch, dass wir uns aus dem Erfahrungsschatz der Migration und dem Schatz einer zweiten Sprache bereicherten, und in der Sache hatten sie Recht. Der Roman, den ich vor kurzem beendete, handelt unter anderem von einer, die vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien nach Deutschland floh. Ich bin noch nie in Jugoslawien gewesen. Und auch noch in keinem Bürgerkrieg. Und bin gespannt: Ist das noch Migrantenliteratur? Wenn ich aus dem Erfahrungsschatz einer fremden, also in meinem Kopf entstandenen Migration schöpfe, und aus einer zweiten Sprache, die ich nicht wirklich spreche? Einfach, weil ich selbst Migrantin bin?

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