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21. Apr. 2016

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Island – 21. April 2016 – Tag Zwei

Eine Unsicherheit, über die man balancieren kann. Reykjavik ist eine Spielzeugstadt, von kleinen Kindern zusammen gestellt und gewürfelt, bunt und querbeet und scheinbar wahllos, ohne Plan, ohne Sinn und Verstand, aber mit viel eigensinnigem Gefühl. Hast du noch ein blaues Wellblech? Ja, hier! Au ja, daraus bauen wir ein Haus, und das stellen wir neben den sozialistisch angehauchten grauen Betonbau links. Und dann noch eine Straße hoch hierüber, und aus dem orangenen Teil, was machen wir daraus? Ein Dach aufs Dach? Au ja! Ganz Reykjavik ist ein einziges Au ja. Ich bin eine einzige nicht gestellte Frage. Heute ist das so. Der Wind weht, und über dem See in der Stadt, so lese ich, kreisen 40 verschiedene Vogelarten, und sie kreischen das Leben aus ihren hungrigen Kehlen. Das Parlament ist so klein, dass man es sich nur so vorstellen kann: Dass sie da bei Tee und Keksen ihre Entscheidungen treffen, und die Kekse, die selbst gebackenen, bringt jeder abwechselnd mit. Irgendwo steht eine Bank, auf der eine Dichterstatue sitzt, ein isländischer Poet, wir tauschen uns aus. Sich kennen bis ins kleinste Vorhaben, jede Bewegung ein abschätzbares Maß. Im Supermarkt kaufe ich mir getrockneten Fisch, den, von dem sie alle erzählen. Salzig, denke ich, die Russen würde ihn mögen, denke ich, und dann eine thailändische Suppe mit sehr vielen Erdnüssen, geteilt. Geteilt. Das bleibt hängen. Zu jemandem stehen ist ein Akt der Erhabenheit, eines, das wie ein Schild getragen gehört. Der Botschafter lädt zu der Pre-Vernissage der Abschlussarbeiten der Kunstschule Reykjaviks ein, ein Hineinstürzen sozusagen, eine Einladung ins Leben. Die ersten Kunstwerke sind politisch auf eine ermahnende Weise: Nachhaltigkeit, Globalisierungskritik und ein Buch von Marx steht auch irgendwo im Regal. Gleich neben Joseph Stieglitz und direkt über dem in Folie eingeschweißten Fisch, der ein Symbol für die langen Transportwege des isländischen Exports sein soll. Die jungen Künstler sind sofort zu erkennen: Man trägt schwarz oder weiß, und zur Ausnahme gestreift. Die Mäntel haben wie Tonnen auszusehen. Die Schuhe müssen bullig sein, Absätze, die das Wort Künstler in den Boden stampfen. Die Socken der Herren haben bunt, aber einfarbig zu sein. Die Haare zu Dutts gebunden. Eine Masse von Individualisten, und draußen, wo Deutsche in Funktionskleidung und Isländer trotz sechs Grad in Sandalen herum laufen, würden sie als solche sicher auffallen, hier aber sind sie eine einheitliche künstlerische Masse. Eine Videokamera nehmen und sie filmen und das als Videokunst mitten in den Raum hinein projizieren, denke ich, und dann sehe ich eine Künstlerin im blauen Glitzerkleid Sandwichs schmieren und sich selbst dabei filmen, Live-Performance sozusagen, und blicke mich kurz nach hinten um: Bin ich die Einzige, die es nicht versteht? Jedermann ist reizend, ich bilde mir ein, auf eine isländische Weise. Als ich heraustrete, regnet es, aber bleibt hell, eine Andeutung von weißen Nächten. Dafür gebührt Dankbarkeit. In Liebe gefangen. Vom Botschafter lerne ich die Eigenheiten der isländischen Sprache: Für alles haben die Isländer ein eigenes Wort, sie übernehmen ungern Anglizismen. Telefon heißt síminn. Und Handy heißt Farsími, Ferntelefon sozusagen. Und verliebt sein heißt in Liebe gefangen.

Island – 21. April 2016 – Tag Zwei
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