20. Apr. 2016
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Island – 20. April 2016 – Tag Eins
Die Tomaten sahen blasser aus, als sie waren. Ich juchzte, das ging dann nicht anders. Alles sah anders aus, bei der Landung schon. Wenn alles anders ist, muss ich stampfen, dann muss ich juchzen, und die Scham schüttle ich ab in einer sehr bewussten Bewegung. Die Bewegung hat den Schwung von Na und. Ich bin so, das ist dieser Tage ein Satz, um den ich kämpfe. Da will ich hin, sage ich, da gleitet das Flugzeug noch durch die Luft. Das Da ist ein Haus mit einem roten Dach, ein weißes Haus mitten im Nichts und in der Nähe der Atlantik. Und das „da will ich hin“, ist mehr ein Schrei. Da will ich hin. Wir landen. Mini, das ist der erste Begriff: Die Tannen sind mini. Die Häuser sind mini. Die Menschen nicht. Weite. Weite, Weite, Weite. Schwarz, die Lava, die Steine. Vulkane. Und Schnee. Und die Häuser sind bunt. Und alles grün-schwarz, und braun-schwarz, also eigentlich meine Lieblingsfarben. Ich gebe mir Mühe, mich von Klischees zu lösen, aber sie kleben an mir, Sekundenkleber. Island. Island, Island, Island, ich muss das wiederholen, obwohl alle das die letzten Tage schon zu mir sagten: Island, echt, Island, Island? Sie setzten ein Fragezeichen dahinter, das geschmeidig in ein Ausrufungszeichen überging. Hier, also, wird gewohnt. Die Wände sind kahl. Die Ledercouch ist braun. Die Schrankwände sind ein gräuliches blau. Auf dem Tisch stehen frische Feldblumen, sie versuchen ein vorsichtiges Hallo. Das Hallo kommt in einer anderen Sprache. Die Wände werden mit Bildern wie Worten beklebt. Als ich vor die Tür trete, um die verdreckten Fenster zu putzen, ein Datscha-Gefühl. Der erste Vorgarten meines Lebens, auch eine Weltsicht. Das Leben spielt sich ab in 45-Grad-Winkeln. Man dreht sich mit einer leichten Bewegung der Schulter, und Schmerz ist in Freude übergegangen, und Aufregung in Nüchternheit und Hoffnung in Realität. Vor mir ein grauen Betonbunker, der Assoziationen von Leben als Aufgabe, eine zu bewältigende, weckt. Ich drehe mich um 45 Grad und sehe gelbe, verdrossene Grashalme, die sich sehnen, riesige Steine, eine höfliche Einladung zum Sitzen, in der Ferne bunte Einfamilienhäuser in Romantik und in weiterer Ferne schneebedeckte Berge, die eine Bestätigung sind: Ja, ist ja gut, du bist in Island. Auf dem Weg zum Supermarkt sich bewusst für die entgegen gesetzte Richtung entscheiden und ans Meer laufen. Juchzen, schon wieder. Und dann, schon wieder, Na und. Der Wind will verletzen, aber es sind nur sieben Minuten. Der Sand ist schwarz. Die moosbewachsenen Steine ein Land für sich. Die Algen sind Kunstwerke zum Sammeln, und wie die anderen Meeresteile, die da herumliegen, heißen, weiß ich leider nicht. Also denke ich mir Namen für sie aus. Die Namen behalte ich für mich. Erste Erkenntnisse über Island, gesammelt: 1. Den Schlüssel dreht man in die falsche Richtung um. 2. Manches ist ein Klischee: Es ist kalt, schön und anders. 3. Das Wasser stinkt fürchterlich nach Schwefel. Habe ich auch bei Karen Köhler gelesen. Aber es stinkt noch mehr. 4. Nach dem ersten Einkauf in einem isländischen Supermarkt: Es ist an der Zeit abzunehmen oder zu fasten. Zum Abendessen gibt es Spaghetti mit Tomatensoße. Die Schokolade lege ich auf den Kühlschrank. Ich habe Gemüsebrühe dabei und bin mir nicht sicher, ob das gut oder peinlich ist. Der schnelle Versuch von heute morgen, alles aus der Küche mitzunehmen, was gut verschließbar ist, nicht zu viel Platz einnimmt und in Island teuer sein könnte. Die Tomaten sahen blasser aus, als sie waren. So ist das, mit den Tomaten, und manchmal sind Tomaten wie Gefühle, oder es ist eben andersherum, dass Gefühle manchmal Tomaten sind. Ich lasse sie reden, im Dampf der kochenden Nudeln und mit Zigarette im Mund. Das ist genial, was da drin hängt, sagt sie. Da drin hängen Bilder mit Texten oder Texte mit Bildern, das ist auch wieder so eine Analogie wie die andere: Tomaten wie Gefühle. Das ist dann so ein Moment, der zwei Bedeutungen hat. Eine davon ist: Island mit Punkt. Island.