16. Juli 2015
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Min. Lesezeit
Ein Donnerstag in München bei 34 Grad
Nach der Lesung das unbestimmte Gefühl, etwas Unbestimmtes schreiben zu wollen oder zu müssen. Was häufig auf dasselbe hinausläuft. Heute morgen geschrieben. Wie schreibt man über etwas, was schon so häufig benannt worden ist? Auf der Suche nach einer Parabel kommt diese alte Geschichte hoch: Ich war sechs Jahre alt, und mein Vater schenkte mir eine weiße elektronische Uhr. Eine Erwachsenenuhr, eine für Damen, kein Kindergeschenk. Es war noch nicht mal an meinem Geburtstag. Eine Rarität in der sowjetischen Einkaufswüste, etwas, das er aufgetrieben hat. Und mein Stolz, dieser unbändige Stolz. Der höchstwahrscheinlich gescheiterte Versuch, die Armbanduhr unauffällig zu tragen, aber so, dass sie jeder sehen kann. Und bewundern. Mein Vater sagt, pass gut drauf auf. Ja, sage ich, in meinem Stolz. Der Stolz vergeht. Ich erinnere mich an die Enttäuschung: An den ersten Morgen, an dem die Uhr anzog, aber die Freude hierbei nicht spürte. In einem solchen Moment lasse ich die Uhr auf dem Couchtisch liegen. Der Hund. Der Hund zerkaut die Uhr in Kleinstteile. Ich erinnere mich an die Wut meines Vaters, an seine Enttäuschung: Ich hatte nicht aufgepasst. Die nächste Uhr bekam ich erst mit elf Jahren geschenkt. Die Lektion hätte ich nicht gebraucht, ich hatte sie schon an den zerkauten Einzelteilen gelernt. Lesen, auf der Wiese. Teenager in Bikinis. Bellende Hunde, denen ist allen zu heiß. Was ist eine angemessene Reaktion auf einen solchen Text? Eine mit Gefühl? Wofür es sich zu kämpfen lohnt. An der Eisdiele schreit ein Besoffener Passanten an, was das Kind so sehr erschreckt, dass es ohne Eis nachhause radeln möchte. Wie immer unentschlossen in meiner pädagogischen Wahl. Ich verspreche aufzupassen und setze mich doch aufs Rad, und wir radeln nachhause. Wo das Kind sich ins Bett verkriecht. Sich bei Ängsten verkriechen, kenne ich. Es gibt diese Begegnungen, die immer ein Mehr sind. “Wir müssen mal einen Abend zusammen verbringen”, hatte sie gesagt, und ich hatte diese Offenheit und Direktheit geliebt, und seitdem haben wir einige Abende zusammen verbracht, und jedes Gespräch war ein Mehr. Zuhören wollen. Und verstehen, einfach so. Ohne Anstrengung. Und ehrlich sein wollen, ohne Ängste. “Schön, dass es dich gibt”, sagt meine neue Freundin zum Abschied und drückt mich. Die Lesung, in dieser Buchhandlung nebenan. Beinahe wie zuhause lesen. Und wissen, ich mache es gut. (Oh, diese Arroganz. Aber wäre es nicht viel arroganter, diesen Satz jetzt zu löschen, weil man diese Arroganz verstecken möchte?). Einer bringt alle meine Bücher zum Signieren mit. Das rührt mich. In jedes Buch hat er mit Bleistift hinein geschrieben, wann und wo er das Buch gekauft hat. Bei manchen Lesungen ist es, als wären die Zuhörer Freunde. Ein unangenehm esoterisches Gefühl. Sehr gut gemacht, sagt der Buchhändler noch zu mir, die Arroganz gebärt sich also nicht aus dem Nichts. Und gibt mir eine Weinflasche mit. Weinflaschen sind immer besser als Blumen.