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9. Apr. 2020

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Corona-Blog Tag 26 / Freitag

Sprechen wir doch mal über Monotonie, sprechen wir doch mal über den Menschen als Gewohnheitstier. Spreche ich mal über mich, wie ich aufstehe, immer um dieselbe Zeit seit Corona, wie ich mich an den Schreibtisch setze, sofort, weil ich die Bedeutung dieser zwei Stunden kenne, die ich für mich habe, alleine, konzentriert. Sprechen wir darüber, wie, wenn wir, wenn die Kinder aufstehen, dieses Ritual erfunden haben, nein, sprechen wir genau darüber nicht, über die Rituale der Menschen. Die eine Hilfestellung seien, so sagt man, die Routine, die einem durch die Tage, durch schwere Phasen helfen sollen, ein Allheilmittel gegen das, was das Leben tatsächlich ist: Eine Ansammlung von Hindernissen und Tatsachen. Zwischen diese pressen wir unsere Rituale, quetschen sie in die feinen Rillen, um uns von einem zum anderen hangeln zu können. Um übersehen zu lernen. Wir richten uns ein, zwischen neue Begebenheiten stellen wir unsere Sitzmöbel auf. Trump hat schon wieder irgendein Stuss von sich gegeben, die Geflüchteten immer noch in die Lager gequetscht, in denen sich auch das Virus ausbreitet. Die Bundesregierung hat versprochen, einige wenige unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufzunehmen, sie kam bislang noch nicht dazu. Sie kam sehr wohl dazu, einige Geflüchtete wieder abzuschieben, jeder setzt sich so seine Prioritäten. Ich werde faul in diesen Tagen, nicht wirklich faul, weil die Tage so voll sind, ich rase durch alle Tage, deren Namen ich zwischendurch vergesse. Selbst auf die Ruhepausen, die schönen Augenblicke rase ich mit voller Wucht zu. Ich werde im Beobachten müde, ich schaue zu, lese Nachrichten, empöre mich wahrscheinlich zu wenig, lese: Wie die AfD die Geflüchteten für Corona verantwortlich macht, und sehr viele Menschen, unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit, die Juden. Lese, wie Menschen, von denen andere meinen, dass sie aus Asien stammen, auf der Straße und in Supermärkten offen angefeindet wären, sie hätten das Virus hierher eingeschleppt. Lese das Schweigen um diese Szenen herum: Manchmal widerspricht einfach niemand. Lese, wie Franzos*innen an der saarländisch-französischen Grenzen mit faulen Eiern beworfen werden, lese von Hass. Lese auch das andere, lese die Solidarität, große Spendegesten, kleine Kreativitäten, um den Liebsten trotz der Kontaktverbote nahe zu sein. Lese, lese, lese, habe mich auch daran gewöhnt, dass ich nur noch Nachrichten lese, ich sage doch, dass ich ein Gewohnheitstier bin. Jemand empfehlt mir, Agatha Christie zu lesen, darauf könne man sich gut konzentrieren, ich ziehe ein Buch von ihr aus dem Regal, lege es unaufgeschlagen neben das Bett. Jemand fragt mich, ob ich am Roman weiter schreibe, kommt wie Hohn vor, diese Frage, in dieser Monotonie, in der ich niemals alleine bin. Sprechen wir doch mal über Monotonie, sprechen wir doch mal darüber, dass ich schon wieder am Blog schreibe.

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