6. Apr. 2020
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Corona-Blog Tag 23 / Dienstag
Was nachgelassen hat mit den Tagen: Die Dringlichkeit, sich in den sozialen Netzwerken zu bewegen. Zu wissen, wie, was die anderen machen. Als würde ich weniger nach Verbindungen suchen, nach Menschen. Wie wir uns alle daran gewöhnen, dasselbe zu fühlen, aber dennoch mit diesen Gefühlen alleine zu sein. Wie man plötzlich überrascht feststellt, dass es schon Wochen – Wochen! – her ist, dass man seine besten Freund*innen drückte, wie wenig sich alles wehrt. Zwischen den Nachrichten lasse ich mir inzwischen auch zwei Stunden Zeit, ohne mir Mühe geben zu müssen. Es lässt etwas nach, ich weiß nicht, wie ich es benennen könnte. Die Anspannung ist es nicht, der Stress. Die jagen mich weiterhin durch die Tage, an denen keine Minute ist, in der ich alleine bin. Viellicht ist es das hingesteuerte Sträuben, vielleicht macht sich Akzeptanz breit. Im Leben, im Herzen irgendwie auch, wir nehmen Corona jetzt als Leben. Wenn ich doch in den sozialen Medien lese, so teilen sich Ansichten und verlinkte Artikel in zwei Lager, das kenne ich so gar nicht aus der eigenen Blase, wo sich die meisten doch in allem einig sind, vor allem darin, auf der richtigen Seite zu stehen. Die einen stellen Exit-Strategien vor, möchten ins Leben hinaus, Berechnungen werden geteilt, in denen Menschenleben gegen wirtschaftliche Verluste, die wiederum in menschlichen Verlusten enden, gegeneinander gestellt werden. Es ist von Demokratie, von Freiheitsrechten die Rede, die großen Begriffe sind immer eine gute Waffe. Auf der anderen Seite beinahe flehentliche, oft persönliche Berichte von jenen, die selbst erkrankt worden sind, oder Erkrankte kennen, um Menschen trauern, die verstorben sind. Sie warnen: Ihr wisst gar nicht, was diese Krankheit mit einem macht, Ihr habt doch keine Ahnung. Ich lese das. Habe Angst davor, keine Ahnung zu haben. Schlafe immer wieder schlecht. Gestern Abend also die erste Online-Lesung. War nervös, als wäre es die erste, war es ja auch, die erste online. Vorher also schon mal alles ausprobiert, wo das Handy steht, wo ich sitze, es blieb gleich beim ersten Versuch: Am Schreibtisch. Irgendwie klischeehaft. Vorher nervös durch die Wohnung gerast, Lampen ein- und wieder ausgeschaltet. Dann dieser Moment, in dem es los geht, und ich niemanden sehe. Ich sehe mich, im Handy, ich mag nicht besonders, was ich da sehe, und ich bin mir dessen noch mehr bewusst, was ich nicht sehe: Freundliches Lächeln. Aufmerksame Augen. Hände, die noch schnell ihre Telefone ausschalten, Taschentücher in Handtaschen stecken. Blicke auf die Uhr. Blicke zu mir. Blicke, Augen, Hände, Menschen. Immer suche ich mir bei Lesungen im Publikum ein, zwei Menschen, die besonders freundlich lächeln, lächle, wenn ich aufblicke, sie an, Menschen zum Festhalten sind sie. Jetzt halte ich mein Buch fest, und wenn ich es umklammere, dann erblicke ich aus den Augenwinkeln, wie groß meine Hände auf dem Bildschirm wirken. Als die Lesung vorbei ist, bin ich aufgedreht, kitzle die Kinder durch, bin zu unruhig um zu sitzen. Telefoniere mit der Veranstalterin, wir sprechen darüber, dass das vermutlich ein Format ist, an das wir uns gewöhnen müssen: Kultur online. Mit diesem Gedanken öffne ich die Netflix-App, schlafe nach zehn Minuten Serie ein.