16. März 2020
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Corona-Blog Tag 2 / Dienstag
Um vier Uhr morgens aufgewacht, Nase zu. Aber Nase schon seit zwei Wochen zu, das muss man dieser Tage ja dazu sagen, dass es kein Corona gibt. Wie früher, nein, Mama, ich habe nicht, und dann kamen, wenn ich darüber nachdenke, lauter Lügen. Heute nicht, heute ist es eine handelsübliche Nasenverstopfung, sie weckt mich, trockener Rachen, Wasserglas holen, Fenster auf, Nasenspray suchen, wach. Vier Uhr morgens mag eine gute Zeit gewesen sein, um wach zu sein, früher, als man so lange aufgeblieben ist, das war vor den Kindern und diesem verdammten Ernst des Lebens, es ist keine gute Zeit um aufzuwachen. Sich im Morgengrauen erinnern, Corona. Sich im Morgengrauen an den Fehler von gestern erinnern, mit Nachrichten ins Bett zu gehen. Apokalypse pur, geschlossene Grenzen, Ausgangssperren, wilde Verschwörungstheorien, wie die Juden, die Chinesen, die Geflüchteten, die Sonst-Wer schuld seien an dem Virus, die Suche nach Klopapier, die gefährlichere Suche, die nach Opfern für Hass. Ängste, die aus Menschen – ich wollte Tiere schreiben, aber ich weiß nicht, ob der Vergleich hinkt – also was machen, Wesen, die sich gegeneinander richten. Ich, ich, ich, und noch mal Ich, in Großbuchstaben, aber vier Uhr morgens ist keine gute Zeit, um aufzuwachen. Dann denke ich noch an das Gesundheitssystem in den USA, und an Menschen, die gerade nicht nachhause dürfen. Ich kenne das nicht, Angst vor den Nachrichten haben. Um sieben Uhr aufgewacht, Schritte im Flur, Nase immer noch zu. Griff zum Handy, eine neue Sucht, mit Nachrichten ins Bett, mit Nachrichten die Nacht durchmachen, mit Nachrichten aufwachen. Als wären sie ein Mensch. Lesen, entweder anders lesen, oder selektive Wahrnehmung oder was das ist. Hilfsangebote, überall. Student*innen, die Abiturient*innen online unterrichten wollen. Künstler*innen aller Sparten, die der Videoübertragung Kultur zu den Menschen bringen wollen. Nachbarschaftshilfe, jemand bittet sogar eine Packung dieses berühmt-berüchtigten Klopapiers an. Jemand anders postet einen Link zu Online-Kursen von Ivy League-Universitäten, man habe gerade ja viel Zeit. Ich springe auf, was ich nicht alles studieren wollte, und wo nicht alles, Yale, Harvard und wie die alle heißen. Erstelle eine Kursliste, „Introduction to Psychology“, „Modern Poetry in America“ bis hin zu einer Vorlesung über künstliche Intelligenz, man hat ja jetzt Zeit. Packe den Stundenplan zu voll. Tanze durch die Wohnung, weil ich jetzt in Yale studiere, Nase immer noch zu. Schwöre mir, Nachrichten vielleicht lieber morgens lesen, schreibe Nasenspray auf die Einkaufsliste.