29. März 2020
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Corona-Blog Tag 15 / Montag
Heute eine Mail bekommen, die mit den Worten „Es lebe der Optismismus!“ endete, das, dachte ich, nehme ich in den gesamten Tag. In heute, weiter denke ich nicht voraus, der Mittwoch wie in „übermorgen“ scheint mir Ewigkeiten und sehr viele verheerende Nachrichten weit weg. Im Kalender alles bis zum 19. April gestrichen, Christian Lindner spricht von Lockerung der Maßnahmen, ich sehe Frankreich, Italien, die USA in den Nachrichten, ich denke lieber nicht bis zum 19. April. Zeiträume sind wackelige Konstrukte, ich weiß nicht, ob die zwei Wochen seit der Schulschließung schnell oder langsam vergangen sind. Ich höre immer mehr von Kindern, die immer mehr traurig werden, weil die Situation auch für sie anstrengend ist, und ich denke an all jene Eltern, denen niemand die Kraft gibt, die sie brauchen, um liebevoll trösten zu können. Jetzt klagen alle über das Homeschooling und die Vereinbarung von Lernbetreuung von Kindern und dem Job. Ich klage auch, kann mich nur schwer aufs Schreiben konzentrieren, wenn dazwischen die Frage nach der Rechtschreibung von „Briefe“ kommt, ja, mit ie, und das „habe ich das gestern nicht schon gesagt?“ verkneife ich mir. Ich habe Angst vor dem Danach, ich habe Angst, was geschieht, wenn die Schulen wieder öffnen, und die Bildungsschere, die in Deutschland dafür sorgt, dass die Chancen von Kindern, die nicht aus Akademiker*innen-Familien kommen, an weiter führenden Schulen und Universitäten zu lernen, eh im Verhältnis zu anderen OECD-Ländern auffallend gering sind, noch weiter aufgegangen ist. Weil nicht alle Eltern in der Lage sind, sich mit ihrem Nachwuchs hinzusetzen, Experimente durchzuführen, Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erklären und Deutschaufsätze zu verbessern. Weil sie überfordert sind, weil sie sich mit dem Schulstoff nicht auskennen, weil sie zu viele Geschwisterkinder zu betreuen haben, weil sie krank sind, weil, und die Gründe sind endlos. Die Gräben werden größer, und ich weiß nicht, warum man das zu verhindern versucht, warum man nicht Familien entlastet, die Eltern, die Kinder, weil die Kinder gerade eh am Lernen und die Eltern am Lehren sind: Was ist Verzicht, wie achte ich die Grenzen der anderen, die meiner Geschwister, wie beschäftige ich mich, während Mama in der Videokonferenz hängt, wie mache ich der kleinen Schwester ein Brot, wie helfe ich bei der Wäsche, wie viele selbst gemalte Bilder braucht der Opa, damit er sich nicht alleine fühlt. Wir lernen alle das Leben in Extremsituation, und wir Eltern bringen unseren Kindern bei, nicht zu verzweifeln, indem wir das selbst nicht tun. Ich habe keine Angst, dass meine Kinder Wahrscheinlichkeitsrechnung niemals lernen, ich habe noch nicht einmal Angst vor dem Einmal-Eins. Ich habe Angst vor dem Graben, den wir gerade gesellschaftlich vergrößern, ich habe Angst davor, was mit Kindern überforderter Eltern gerade, heute, jetzt zuhause passiert.