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20. März 2020

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Corona-Blog Tag 6 / Samstag

Der Hund meiner Eltern stirbt. Er stirbt langsam, hat aufgehört zu fressen, stöhnt. Mein Vater kocht ihm ein Huhn, versucht, ihn stückchenweise zu füttern. Mein Bruder hat das Huhn vor die Tür gestellt zusammen mit anderen Einkäufen. Meine Mutter streichelt den Hund, er ist wie Oma, als sie starb, sagt sie am Telefon zu mir. Sie weint, ich sitze auf dem Fahrrad, es regnet auf mich herab. Es ist mir egal, dass es regnet, ich bin froh, aus dem Haus zu kommen. Das ist Sport, das darf ich. Telefoniert Ihr viel, frage ich meine Mutter. Mit anderen, meine ich, mit anderen in Eurem Alter, die auch alleine zuhause sitzen, die auch Essen vor die Tür gestellt bekommen, im besten Fall. Nein, sagt meine Mutter, es haben alle keine Kraft, es sind alle verzweifelt. Ob sie mit den Enkeln über Skype lernen soll, fragt sie. Ich traue mich nicht zu fragen, wie das jetzt mit dem Einschläfern wäre, meine Eltern, beide über siebzig, können mit ihm nicht zum Tierarzt dieser Tage. Wir denken nach, sagt meine Mutter, wir denken nach. Als ich auflege, kann ich nicht aufhören zu weinen. Der Vater meiner Freundin rebelliert. Er liegt alleine zuhause, er wurde vor kurzem am Fuß operiert. Auch sie stellt ihm Essen vor die Tür. Aber warum, will er wissen, wenn alle von anderthalb Metern Abstand reden, warum kannst du dann nicht herein kommen, drei Meter Abstand halten, dann bin ich nicht allein. Er nennt sie „panisch“, er will nicht allein sein über Woche. Gestern haben die Jungs, die draußen Fahrrad fahren waren, mir irgendwas von einem „Opa mit seiner Enkelin“ erzählt. Wenn ich morgens aufwache, denke ich als Erstes Corona, dann an meine Eltern. Die letzte Veranstaltung, die ich durchgeführt habe, war eine Schreibwerkstatt mit Senioren. Alles andere war bereits abgesagt worden, und deshalb fragte ich am Tag der Veranstaltung vormittags vorsichtshalber noch einmal nach: Wirklich, soll ich nachher kommen? Ja. Sie kamen alle, diese Senioren, sie waren aufgedreht und freudig, sie waren wie Figuren aus einer Comedy-Serie, in die man sich sofort verliebt. Sie bestanden darauf, mir die Hand zur Begrüßung und zum Abschied zu geben, und hatten Kekse und sogar einen Kuchen dabei. Sie regten sich wahnsinnig über das viele Plastik in den Supermärkten auf, und eine zeigte Einkaufstaschen, die sie aus alten Vorhängen der Schwiegertochter näht. Einer kam mit dem Fahrrad, und alle hatten sie Angst. Keine*r von ihnen hatte Angst vor Corona, aber alle hatten sie Angst vor der Isolation. Davor, alleine sein zu müssen, eine hatte einen festen Enkelinnen-Tag. Sie sprachen viel von sozialen Kontakten, da war Social Distancing noch kein so häufig verwendeter Begriff. Ich verließ die Veranstaltung gut gelaunt, es war so gut, dass sie ihren Lebensgeist mit mir teilten. Eine von ihnen hatte auch einen Hund, und eine andere hatte eine Geschichte über einen Hund geschrieben. Ich sage mir, sie hat ihr Leben gelebt, sagt meine Mutter über den Hund, und später sagt sie das über sich und meinen Vater, wir haben unser Leben gelebt.

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