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  • Lena Gorelik

Vaihingen, zweiter Tag.

Aktualisiert: 1. Juli 2019

Kaffee auf dem Dach vor dem Frühstück.


Frühstück: “Ich wünsche Euch von Herzen Streichwurst und Schmelzkäse in kleinen Portionspackungen.” Aber das Frühstück echt gut, wobei wir das Rührei nicht probieren.


Schreiben, im Marktcafé. Die wundern sich alle, weil ich mit zwei Fingern so schnell tippe. Eine Handynummer bekomme ich, von dem, der auch mein Deutsch so schön fand. Alter: geschätzte 60. Sehr nett.


Fünf Seiten, fünf gute Seiten. Danach habe ich Herzklopfen, und mir ist ein wenig schlecht. Und das andere Kapitel, auch nicht schlecht. Vielleicht kann ich’s doch noch. (Ja! sagt C.) Den Latte Machhiato gibt’s ohne Kakaopulver nicht.


Die Unterhose wurde vertauscht und gehört jetzt Frau Schauer, aber das ist eine ganz andere Geschichte.


Kein Drehbuch bislang, aber viele Ideen.


Nach Ludwigsburg fahren, back to the roots. Musik hören auf der Fahrt, und ich dann: “Ich muss Dir zwei Orte zeigen”, und bin selbst überrascht. Bei einem, füge ich hinzu, weiß ich nicht mehr, ob es ihn noch gibt. Und dann: Bei dem zweiten eigentlich auch nicht.


Die Wilhelmstraße. Die Schlange auf der Wilhelmstraße. Das Scala. Das Forum. Auch der Eiskiosk, an dem ich die ersten Eiswaffeln aß, 60 Pfennig die Kugel. Die Friedrichstraße. Im Riedle. Alles ist neu, an der Ecke die Aral-Tankstelle, wo früher Brachland war, gegenüber, wo das Brachland weiter ging, an der Stelle, an der wir Kinder auf A. warteten, eine Tanzschule. Im Riedle heißt jetzt “Erlenweg”, wahrscheinlich der Versuch der Städtebauplaner, den schlechten Nachgeruch vom Riedle weg zu kriegen. Dunkel im Übrigen. Ach so, und Neubauhäuser für Jungfamilien, gerade so bezahlbar, im Erlenweg. Nicht mehr da, denke ich. Wäre irgendwie schlimm. Steige aus. Renne vor. Ist noch da: Das Wohnheim. (Heute: Drogenabhängige, ein Frauenhaus, ein Männerheim). Auf dem Gelände immer noch Angst. Eine Zigarettenlänge, sage ich, aber im Wind geht die Zigarette aus, und ich zünde sie nicht mehr an. Stacheldraht weg. Die Holzbaracken weg. Aber dort, in der zweistöckigen Baracke, mein Fenster. Dort die Treppe, auf der ich zum ersten Mal eine Liebeserklärung bekam (ich elf, er zwölf). Dort sein Fenster. Dort die gemeinsame Küche, die meine, die seine, und die von 60 anderen. Plötzlich eine Frau, die nach ihrem Bruder sucht, von dem sie nichts gehört hat, und der einen Rückfall haben könnte. Einer tritt aus dem Haus, einer, der in einem Gangster-Film aus Harlem stammen muss. C. kriegt Angst. Zum Auto rennen wir.


Der zweite Ort: Das Haus, in dem ich von 12 bis 20 lebte. Der soziale Aufstieg sozusagen. Vom Asylantenwohnheim in die Sozialbausiedlung. Auch hier im Übrigen: Neubauhäuser, sehr schön. Aber unser Haus wie früher. Sehr schön.


Weil es so ist, wie es ist, lassen wir das Nikolausfest der serbisch-mazedonischen Vereins in Vaihingen sausen. Innenstadt, Schiller-Gymnasium (auf dem Parkplatz: meine Musiklehrerin), und kurz denke ich, ich sehe meinen Lateiner-Freund, springe aus dem Auto, aber nein, das ist er nicht. Essen im Blauen Engel, wo denn sonst.


Coen Brothers, der neue, “Inside Llewin David”. Fanstatisch. Jede Einstellung stimmt, jeder Prop.


Zurück. Vaihingen füllt sich wie zuhause an. Suchen verzweifelt ein Casino (Vaihingen hat eins, Enzweihingen daneben auch eins, jeder einen Fuffi verspielen, sagt C., dabei darf ich nicht spielen wegen Suchtgefahr). Die Casinos in Vaihingen und Enzweihingen haben nach Mitternacht zu.


Also zurück aufs Dach. Ich vermute, wir sind die einzigen Gäste des Hotels Post garni, die jemals aufs Dach gestiegen sind. Dabei muss man einfach aus dem Fenster springen. Das Wiederreinklettern gestaltet sich für mich als schwierig.


Zweitbester Satz des Wochenendes: “Erklär mir doch mal, wie Du bist.”


Wodka Lemon aus Zahnputzbechern. C. trinkt nicht genug und beschwert sich, dass ich nicht genug rauche. Ich hüpfe auf dem Bett. Der Versuch, Wahrheit oder Geld zu spielen, weil wir ja nicht ins Casino konnten, scheitert an zwei Problemen:


a) Deine zwei Euro füllen meinen Dispo nicht auf.


b) Ich kann Dir eh alles sagen.


Deshalb, die einzige gute Frage (von mir): Was würdest du mir nie erzählen?


Um zwei schläft C. ein, ich lese Herrndorf. Haut mich um.


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