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  • Lena Gorelik

Corona-Blog Tag 5 / Freitag

Aktualisiert: 30. Juni 2021

Es klingelt an der Tür, wir frühstücken noch. Wir frühstücken, es ist nach elf, wir frühstücken nicht deshalb so spät, weil wir etwa ausgeschlafen haben, es ist kein gemütliches Sonntagsfrühstück mit Waffeln. Die Zeiten sind durcheinander geraten, die Tage übrigens auch. Ich muss nachschauen, um zu wissen, ob heute ein Mittwoch ist oder ein Freitag. Drei Mahlzeiten am Tag überfordern mich komplett, um mal banalen Alltag zu erzählen. Ich bestelle nichts, aus finanziellen Gründen, aber auch weil auch das soziale Kontakte bedeutet: Irgendwo schwingt sich ein Lieferant aufs Fahrrad, begegnet unterwegs Menschen, übergibt mir an der Tür das Essen. Aber ich träume, heimlich, während ich Tiefkühlgemüse in die Pfanne schmeiße – nicht schon wieder was schnippeln – vom indischen Essen. Ich träume davon, in einem Restaurant zu sitzen, irgendjemand, der*die mir zubereitetes Essen bringt.


Es klingelt an der Tür, das große Kind und ich springen beide auf, Besuch sind wir nicht mehr gewohnt. Bleib sitzen, fauche ich ihn an, und er blickt mich erschreckt an, warum darf ich denn nicht an die Tür. Weil das ein Kontakt weniger ist, wie sich Corona durchzieht durch unbedeutende Bewegungen, durch alles, durch den Ganz durch den Flur zur Wohnungstür. Der Postbote kommt nicht die Treppe hoch, steckt mir von unten das Päckchen entgegen. Lächelt, er muss und er will wahrscheinlich auch nicht mehr erklären.


Was ist das, rufen die Kinder, die brav und vielleicht etwas verängstigt in der Küche sitzen geblieben sind. Ein Paket, für mich. Ich reiße es auf, ein Buch, ein Entspannungsbad, Schokolade. Ein Corona-Krise-Care-Paket steht auf der Karte, und ich freue mich, wie ich mich seit wann, seit einer Woche, seit zehn Tagen nicht mehr freute. Für diesen einen kurzen Moment, in dem ich das Geschenkpapier noch nicht aufreiße, und die Kinder neben mir auf- und ab hüpfen, willst du nicht sehen, was für ein Buch, weicht alles von mir ab. Die Sorge, die um meine Eltern, die per Sprachnachricht zurecht über Einsamkeit klagen, um alle mit Vorerkrankungen, alle Älteren, die ich kenne, um die Geflüchteten an der Grenze, um Italien, um – und das ist noch nicht einmal eine Übertreibung – die ganze Welt. Die Sorge um die Finanzen – heute wurde die erste Veranstaltung im Juni abgesagt, die Müdigkeit, die sich ergibt, wenn man diese Sorgen mit dem Alltag mit den Kindern, dem Homeschooling, der Arbeit, dem Haushalt, dem Alleinsein mit allem multipliziert. Für den einen Moment ist alles kurz weg, ich reiße das Geschenkpapier auf. Ich stapele das Buch auf die anderen neben dem Bett: Ich werde sie irgendwann lesen, wenn die Müdigkeit und die Sorgen verschwinden.

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