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  • Lena Gorelik

Corona-Blog Tag 33 / Freitag

Aktualisiert: 30. Juni 2021

Heute kurz eine Telefonkonferenz verpasst, weil ich nicht mehr den Wochentag wusste. Sie sind so gleich, diese Tage, die Mittwoche sehen wie Freitage aus, und die Sonntage sind von den Montagen nicht zu unterscheiden. Ein altes Freiberufler*innen-Problem: Was ist ein Feierabend, und wo kann man das haben? Es wird dieser Tage verschlimmert, weil ja auch die anderen, die um einen herum, die Kinder, die Menschen mit „echten“ Jobs einem keinen Rahmen geben, weil sie Worte wie Wochenende auch nicht mehr verwenden. Vielleicht tun sie es doch, fällt mir ein, vielleicht habe ich nur weniger Kontakt zu den Menschen. Zu Menschen im Allgemeinen, nicht zu jenen mit einem „echten“ Job. Heute eine Mail geschrieben, lange über deren Inhalt nachgedacht. Kurz nur über Worte und deren Wirkung nachdenken, sonst über nichts. Gut, früher ging das einem so mit Romanen, aber lassen wir Luxusgedanken beiseite.


Heute mit meinem Vater telefoniert, meine Mutter war, glaube ich, spazieren. Sonst ist sie die Erste, die ans Telefon geht. Mein Vater wird in zwei Monaten 80, er hat ein krankes Herz. Er hofft, sagte er, er hofft, dass ich nicht panisch bin, und nicht ängstlich, er hofft auf einen positiven Geist seiner Tochter. Früher, im Krieg, sagte mein Vater, der den Zweiten Weltkrieg als Neugeborener, als Kleinkind während der Blockade in Leningrad überlebte, da war alles noch schlimmer, es geht uns doch, wir lebten doch, sagte mein Vater, immer noch im Paradies. Auf meine Frage, wie es ihm ginge, antwortete er, er fühle sich wie eine frische Gurke. Nicht wie eine Tomate, fragte ich. Nein, die sei doch rot. Komisch, ich fühle mich selten wie ein Gemüse.


Manche sagen, wir sollten uns an eine neue Normalität gewöhnen, und andere widersprechen, dass es das doch nicht gäbe: Dass die Normalität per se alt sein muss. Andere warten ungeduldig auf jene. Ich merke, wie plötzlich Gefühle groß scheinen, die nicht corona-bedingt sind, Ärger, Enttäuschung, Sorge, Aufregung, Freude. Sie waren vorher schon da und wurden von Corona überdeckt, oder sie sind neu getriggert, jedenfalls sind sie sichtbar, fühlbar, lassen sich anfassen, drehen, beiseite legen, halten. Sie nehmen vorsichtig, aber nicht unsicher neben Corona Platz, vielleicht weil der Ausnahmezustand keine Ausnahme mehr ist. Da draußen scheint die Sonne, und ich sehne mich plötzlich danach, mit den Händen in der Erde zu graben. Irgendwas anpflanzen, umpflanzen, ein Garten, Dreck unter den Fingernägeln, von der Sonne verbrannter Nacken. Kurze Träume von Urlaub (irgendwo hier in Bayern, man will ja nicht zu anspruchsvoll werden) tauchen auf, ziehen weiter, aber sie waren immerhin, für ein paar Sekunden, da.


Übermorgen öffnen die Baumärkte, ich weiß gar nicht, warum. Ich zum Beispiel wüsste nicht, was ich bauen sollte.

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