top of page
  • Lena Gorelik

Corona-Blog Tag 28 / Sonntag

Aktualisiert: 30. Juni 2021

Osterwochenende, als wäre nichts. Als wäre nur Sonne, als wären Osterhasen tatsächlich mit kleinen Rucksäcken unterwegs, um Ostereier und Geschenke zu verstecken. Als gäbe es auf dieser Welt nur diese privilegierten Kinder, für die Eier versteckt werden, und manchmal sogar Geschenke, als gäbe es nur solche Fragen, wie die, wie der Osterzopf am Besten gelingt (ich backe keinen; ich backe eh aus Überzeugung nicht). Als stürben da draußen nicht Menschen an einem Virus, das wir bis vor ein paar Monaten noch nicht einmal kannten, als hielte das Virus uns nicht davon ab, bei und mit denen zu sein, die wir lieben, auch wenn diese Liebe manchmal schwierig ist, also vielleicht lieber so formuliert: mit denen, die zu uns gehören. Als wären wir nicht in unserer Bewegungs- und Lebensfreiheit eingeschränkt, als sorgten wir uns nicht: Manche von uns um die Liebsten, andere um die eigene Existenz, einige auch um das, was den eigenen Erlebenskreis verlässt, um all jene, um die sich zu wenige Sorgen machen. Als verstärke das Virus, mit allem, was er nach sich zieht, – notwendige medizinische Behandlung, Ausgangsbeschränkungen, finanzielle Existenzsorgen, Lebensgefahr – nicht all die Ungerechtigkeiten, die sich durch die Welt, aber auch durch unsere Gesellschaft, unsere Städte ziehen; Osterwochenende, als sei nichts.


Am Samstag ein Kartenspiel auf dem Balkon gespielt, Tisch beiseite geschoben, eine Decke ausgebreitet, um 14 Uhr die Frage, wäre jetzt nicht Zeit für ein alkoholisches Getränk. Ein Mix aus zerstampften Beeren, Saft, Wodka und handgecrushten Eis. Zwei von drei Partien gewonnen, dann wurde es langsam kühl. Danach erst einmal schlafen, nichts tun, und sich das immer wieder sagen: Ich tue jetzt nichts, dieses Faul-Gefühl, einmal sagt meine Freundin: Als ob wir im Urlaub wären, obwohl wir auf Gitterstäbe des Balkons starren. Zwischen den Gitterstäben ein frisch blühender Baum, der sich des Frühlings sicher ist. Die Pollen schwirren in meine Nase, sie läuft, eine so wundervoll ereignislose, simple Allergie. Um kurz vor acht Uhr abends wieder auf der Couch aufwachen, zur Fernbedienung greifen, Tagesschau: das ist wie ein Zug, der plötzlich pfeift, obwohl man noch am Dösen ist, und man hatte die Nähe der Gleise vergessen. Es schmerzt in den Ohren. Die Schwere, die sich sofort auf alles legt, als Umhang trägt sie ein schlechtes Gewissen. Dieser Tag, als sei nichts, dabei stapeln sie in New York weiße Särge in große Gräben. Sich nicht verabschieden, im letzten Moment nicht die Hand halten zu können, eine der schlimmsten Vorstellungen von allen. Ich schlafe furchtbar schlecht in dieser Nacht, und ich glaube nicht, dass ich die Schuld dafür dem Heuschnupfen alleine in die Schuhe schieben könnte.


Am Sonntag wieder: Als wäre nichts. Osterfrühstück, von den Kindern bemalte Eier, eines fällt herunter, dann weint ein Kind. Ich esse schnell, wie immer, dann sehe ich, wie immer, den anderen beim Essen zu. Ostereier suchen, ein paar lassen wir für ein kleines Mädchen von nebenan liegen und schauen ihm beim Freuen zu. Der Nachmittag, als wäre nichts, in Innenhof auf einer Decke liegen, da darf man ja noch. Kekse essen und Chips, ein Aperol Sprizz mit Eiswürfeln, ein Spiel, die Kinder bauen Cricket-Tore, spielen Kapitän, ich lese und denke nichts, die Zeit verstreicht herrlich langsam, sie hat heute genauso wenig Eile wie wir. Heute ist ein Tag, als wäre nichts, schreibt mir ein Freund, nachher grillten sie im Garten, ein Ostersonntag. Seit gestern aber ein leichtes schlechtes Gewissen, ein Wochenende, als wäre nichts, obwohl ich doch weiß, obwohl ich doch gestern schon wusste, obwohl ich doch immer weiß. Ich werde später wieder die Tagesschau schauen. Schaudern, hätte ich auch schreiben können.


2 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page