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  • Lena Gorelik

Corona-Blog Tag 13 / Samstag

Aktualisiert: 30. Juni 2021

Gestern Abend habe ich beim Scrabble verloren. Ich war ganz lange am Gewinnen, und dann, dann zog meine Freundin plötzlich an mir vorbei. Es ist das Verlieren, das beim Aufwachen hilft: Zumindest denke ich nicht nur an Corona. Ich denke über Worte mit „ü“ nach, und wie man vier „n“‘s auf einmal legen kann. Ich denke an meinen Vater, wie wir auf langen Zugfahrten Scrabble spielten. Wie er mich niemals gewinnen ließ, wofür ich ihm erst heute dankbar sein kann, früher nicht.


Gestern Abend die Tagesschau geguckt und das Corona-Extra. Frankreich, New York, überforderte Ärzt*innen, Hubschrauber, die Menschen in andere Krankenhäuser fliegen. Abstruse, sehr eigene Ängste: Ich habe Flugangst. Ich will mich einem Hubschrauber nicht einmal nähern müssen. Ich habe auch Angst vor Spritzen, ich weiß, wie irrelevant das klingt. Ich möchte diese Gedanken nicht haben. Dann: Das Bild einer Sporthalle, in der die Bundeswehr gründe Feldbetten aufstellt, erinnert mich sofort an die Bilder aus China. Die habe ich, ergraust, gesehen, gelitten, und damals gedacht, dass das China ist. Als lebten wir in einer anderen Welt.


Ich überlege, eine Liste von Dingen zu erstellen von Dingen, die ich nach Corona machen möchte, von Menschen, die ich drücken möchte, von allem, was vor drei Wochen noch so selbstverständlich war. Ich mache keine Liste, weil ich immer diesen Satz höre, von Politiker*innen und Expert*innen, von scheinbar jedem*r, den*die ich in der Tagesschau sehe, dass das Schlimmste noch kommt. Ich habe Angst davor, mich in einer Woche für diese Liste zu schämen.


Ich habe seit Jahren keine Party mehr gefeiert. Hauptsächlich, weil ich viel zu viel darüber nachdenke, wie es denen, die ich einladen würde, gehen könnte. Was, wenn sich jemand langweilt, und was, wenn die Leute nicht ins Gespräch kommen, und was, wenn zu wenige kommen, und was, wenn gar niemand kommt, und ich kenne zu viele Leute aus zu unterschiedlichen Kontexten, und überhaupt ist die Wohnung zu klein, und was, wenn ich zu wenig Essen zubereitet haben werde, und, was, wenn die Leute nur kommen, weil sie sich verpflichtet fühlen, und ich stelle mir vor, wie ich durch die Wohnung renne und bei jedem Gespräch aus den Augenwinkeln beobachte, ob sich jemand unwohl fühlen könnte, und feiere eben nicht. Aber wenn das hier vorbei ist, wenn das vorüber ist, diese große C-Krise, wenn wir uns wieder sehen und umarmen dürfen, wenn wir keine Videochats mehr brauchen – ich will nie, nie, nie wieder skypen -, dann mache ich eine große Party, und ich lade alle ein, und es ist mir egal, ob es genug zu essen gibt, und wenn sich zu viele auf einmal in ein Zimmer quetschen, es ist dann alles egal, weil wir einfach beieinander sein dürfen.


Gestern Abend hat die Tagesschau, oder waren es die Tagesthemen, weil auch Nachrichten in diesen Tagen zu der einen ewig währenden einen Nachricht verschwimmen, einen Beitrag gebracht über die Konflikte, die nun in den Familien schwelen, darüber, dass die Krise auch für Kinder schwierig ist. Zu sehen waren Kinder im hauseigenen Garten, die vor einem Trampolin standen und über Langeweile klagten, der Beitrag dauerte sicher über eine Minute, eine Minute, die hoffentlich nicht all jene Kinder sehen, die keinen Trampolin haben, auch keinen Garten, die sich auf wenige Quadratmer quetschen und Angst vor Schlägen haben, wir haben das ja alle in den letzten Tagen gehört, dass die Zahl an Gewaltverbrechen in den Familien exponentiell steigt. Da draußen ist Corona, aber wir vergessen immer noch zuverlässig, wie privilegiert wird sind.


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