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  • Lena Gorelik

Kultur trotz Corona: Es ist nur kalt, mehr nicht

Wieder mit dem Schreiben beginnen, dem Schreiben über Corona oder einfach nur im Angesicht von Corona, oder eben zu schreiben, weil es Corona gibt. Tagebuch führen, festhalten, nicht mehr so tun können, als ob nicht. An einem beliebigen Tag beginnen, einfach, weil heute ein Dienstag ist, obwohl sich heute die Bundeskanzlerin mal wieder mit den Ministerpräsident*innen zum Gespräch trifft, per Videoschaltung, was erwähnt werden muss, weil, eben, Corona. Heute Nachmittag, sie werden wieder diskutieren, ob bundeseinheitlich oder nicht, und wie viele geliebte Menschen wir einladen dürfen, wenn wir heiraten, trauern, feiern, an Tagen, die man mit anderen teilen will. Wieder mit dem Schreiben beginnen, dem Schreiben angesichts von Corona, ich weiß nicht, was ich damit festhalten möchte, einen Alltag, der absurd und stechend real zugleich sein scheint vielleicht, vielleicht genau deshalb mit dem Schreiben beginnen, der Ambivalenz zum Trotz.


Draußen Herbstsonne, vielleicht die letzte. Eine Akademie im thüringischen Niemandsland. Auf den Fluren tragen wir Masken, an unseren Plätzen ziehen wir sie aus, wir frieren unentwegt, weil immerzu gelüftet werden muss. Man weiß nicht, ob man das sagen, schreiben darf, dass einem immerzu kalt ist, weil sofort der Verdacht im Raum steht, man würde die Maßnahmen für unnötig halten, was nicht der Fall ist: Es ist nur kalt, mehr nicht. Man würde niemals aufs Lüften verzichten wollen.


Jemand erzählt von an Corona erkrankten Freund*innen, von schweren Fällen, man möchte gar nicht hinhören, und möchte doch, und muss auch, und alle, die Kinder haben, fürchten nichts mehr als geschlossene Schulen und Kitas, und eine, die aus Teheran stammt und Familie dort hat, sagt, wir hätten sie immer noch nicht verstanden, die Krankheit. Und eine andere sagt, sie habe nichts mehr gehasst in dieser Zeit, in der wir alle auf uns und unsere Familien und den kleinstmöglichen Kreis zurückgeworfen waren, als Menschen, die berichtet haben, sie hätten diese Zeit so sehr genossen, diese Zeit mit der Familie, im trauten Kreise. Während man selbst übermüdet und gereizt war und für keinen Moment für sich alleine. Und dann sprechen wir über das, worüber wir so viel schon gesprochen haben in den letzten Monaten, möglicherweise mehr als jemals zuvor, möglicherweise mehr als über all die anderen so weit reichenden, so bitteren, so desolaten Konsequenzen dieser Pandemie: Wir sprechen über das Kochen und über die Anzahl ausgeräumter Spülmaschinen. Es schmeckt dann gleich besser, das Essen in der Akademie. Das Essen wird ausgeteilt, Buffets sind verboten, wir schleppen graue Tabletts zu den Tischen, ich versuche, nichts zu verschütten, und überall diese Schilder, auf denen ein Gesicht mit Maske zu sehen ist. 


Gestern Mittag schien noch einmal die Sonne, sie wärmte nur kurz, aber sie ließ den Himmel noch einmal blau strahlen, obwohl der Herbstgeruch schon in den Bäumen hing. Alle strömten nach draußen, die Diskussion wurde auf Gartenstühle verlegt, obwohl schon einige Wollschals und Mützen mitgebracht hatten. Wir saugten auf, diese letzten, sommerlich anmutenden Minuten, und man dachte natürlich auch, dass das Gefühl auch für diese Art von Veranstaltung, für so eine Akademie, gilt: Bei der Menschen, die sich vorher nicht kennen, aus unterschiedlichen Bundesländern zusammen kommen, in einem Raum sitzen, mit Abstand, versteht sich, und dennoch, gemeinsam. Ob es bald vorbei ist mit solchen Veranstaltungen, ob wir wieder vor unseren Bildschirmen sitzen und darüber nachdenken, ob die anderen in diesem Winkel, in dem der Bildschirm steht, zum Beispiel sehen können, dass man heimlich auf sein Handy guckt. Heute ist ein Dienstag, an dem sich die Bundeskanzlerin mal wieder mit den Ministerpräsident*innen trifft.



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