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Lena Gorelik

Island – 9. Mai 2016 – im Bett

Ich habe einen Titel, aber keinen Roman dazu. Die Worte bilden sich langsam. Je mehr ich lese, desto weniger denke ich, schreiben zu können.


Im Gras hängen Tautropfen mit einer Beharrlichkeit. So einen Stuss schreibe ich also. Ich wackle zum Supermarkt, wackeln, unsichere Schritte, die Hände sind kalt. Toastbrot, Brie, keine Milch, eine Tomate, eine Zitrone und eine Gurke, in Island kaufe ich in Einzelstücken ein. Ich kaufe eine Cola in der Hoffnung auf Genesung: Wenn ich krank bin, ist mir nicht nach Cola zumute.


Im Rucksack krame ich nach einer Ibuprofen. Süßigkeiten, von den Kindern geschenkte. An die Kinder denken, und an das, was sie nun sind.


Die Schneeberge nehme ich als solche nicht mehr wahr, ich laufe nur, Supermarkt. Der Mensch siecht in der Gewohnheit dahin. Vor zwei Jahren saß ich im Zug und zweifelte nicht. Dem Zweifel gebührte kein Raum, er durfte nicht sein, und nie hat mir der Zweifel erzählt, ob er tatsächlich nicht auftauchte, oder ob er nur gehorchte, weil er wusste, dass er nicht durfte.


Dann lasse ich das mit dem Schreiben, für immer. Es ist ein beleidigtes Denken, ich bin beleidigt, weil ich vergessen habe, was ich gerne lese, was ich gerne schreibe, und was ich gerne lese, das ich geschrieben habe. Es soll gut sein und noch besser. Es sollen siebzig gute Seiten sein, ein unmögliches Unterfangen, ich rechne herum, nicht für mich.


Skyr habe ich auch noch gekauft, isländischer Joghurt.


Immer fallen einem Fragen ein, die andere ungern beantworten, aber selten welche an uns selbst. Oder wir haben Angst, sie zu stellen. Es ist ein Spiel. Ich vermisse das: Spiele spielen.


Ich google Zitate zum Thema Zeit, weil ich das verstehen will: Zerfließt sie schneller, wenn viel passiert? Warum kommt einem manchmal als Ewigkeit vor, was langsam vergeht, und dann wieder, wenn sich Ereignisse tummeln? Die Oberschenkel tun weh, das sind diese Gliederschmerzen von der Grippe.


Wenn ich krank bin, soll jemand mich halten. Und Tee bringen. Und Mitleid will ich auch, wie so ein Kind. Und ich kann dieses wehleidige Kind nicht leiden.


Ich öffne die Tür zum Garten und trete einmal kurz barfuss hinaus, der Boden ist von der Sonne aufgeheizt, aber es ist kalt. Der Himmel ist vielversprechend blau. Ein Telefonat schiebe ich vor mir her, weil er eine Bestimmtheit hat. Für Bestimmtheit braucht man Kraft und eine schubsende Hand.


Diese Texte hier werden vergehen, notierte Zeilen im Netz, früher schrieb man so etwas auf Papier, später kam es in Archive, es hatte eine Handschrift dazu. Früher schrieb man Briefe, echte und wundervolle. Die bewahrte man auf. Wenn sich Schriftsteller gegenseitig Briefe schrieben, so brachte man sie heraus, der Briefwechsel von und zu. Heute schreiben wir Mails, und die versauern irgendwo im Computer. Liebesbriefe schrieb man auch früher mit der Hand, hin und her. Die Dinge waren sicher.


Irgendwann klingelt das Telefon. Ich lege auf. Dann klingelt es noch einmal, und nicht ohne Grund. Heute wackle ich. Dabei sollte kein Tag zum Wackeln sein.


Das Gras wird immer grüner, das ist der isländische Sommer, und den Birken fehlt die russische Tristesse.


Vor zwei Jahren saß ich im Zug und dachte nicht einen Schritt weiter. Manche werfen mir manchmal Egoismus vor.


Was es besser macht: Dass es nicht dunkel wird hier in Island. Spätabends lese ich noch ohne Licht. Dass ich so einfach bin: Dass Licht Ängste vergrault. Die Dinge können eine Klarheit erlangen, sie finden in Momenten statt. Ich könnte eine Liste solcher Momente erstellen, sie läse sich wie ein Film.

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