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  • Lena Gorelik

Island – 30. April 2016 – Akruyeri und zurück

Manche Menschen sind wie Island.


Man sitzt dann so im Auto in einem fremden Land, blickt aus dem Fenster, kurbelt es manchmal hinunter, macht ein Foto, schau mal, da, ruft man aus, und manchmal „wie schön“ und „ist das nicht unglaublich hier“, manchmal hält man an. Steigt aus, zieht die Luft ein, die frische, die kalt, die warme, die fremde, die sich einfach gut anfühlt, weil sie so ist, fremd. Das macht man so, am ersten, und am zweiten, und bestimmt auch am vierten Tag. Später gewöhnt man sich daran, an die Landschaft, die Luft, „schau mal, da“ ruft man manchmal, und manchmal macht man die Augen zu auf diesen Fahrten und schläft, man hat dann keine Angst mehr, etwas zu verpassen. Manchmal liest man ein Buch, und beim Umblättern schaut man auf, und dann ist immer noch alles „wie schön“. Aber man macht sich nicht mehr die Mühe, den Rücken aufzurichten und den Kopf nach vorne zu strecken.


Island ist anders. An Island gewöhnt man sich nicht. Jede fünf Minuten sieht Island anders aus. Jedes Mal, wenn man meint, sich gewöhnt zu haben, an mondartige Kraterlandschaften, an Schnee auf schwarzem Lavagestein, an Flüsse, die sich wie Gekrakel eines Kleinkindes durch die Landschaft ziehen, verändert sich die Landschaft komplett. Jedes Mal, wenn ich mich in den Autositz sacken lassen: Etwas geschieht. Alles ist anders. Ich richte mich auf.


Manche Menschen sind wie Island.


Akrureyri, die zweitgrößte Stadt Islands, liegt im Norden und hat 18.000 Einwohner sowie eine Universität. Es ist kalt. Würde man sich in Akrureyri auf eine Fähre setzen, würde man zu einer Insel fahren können, die jenseits des Polarkreises liegt. Ich will nach Grönland. Es ist kalt. Abends ist es hell. Daran habe ich mich gewöhnt. Ich stelle mir nachts keinen Wecker mehr: An das Nordlicht glaube ich nicht. In den ersten Nächten immer wach gelegen, auf das Grün gewartet, das Grün kam nicht. Jetzt schlafe ich durch. Vergiss es.


Vergiss es. Auch die anderen Dinge, was war. Aber nicht alles, nur das Schlechte.


Manche Menschen sind wie das Nordlicht, nur nicht in Grün. Man sagt, es lohnt sich zu warten.


Das Licht der Wahrheit wirft glänzend-helle Flecken ins Wasser. Im Licht der Wahrheit darf man eine Frage stellen, die wahrheitsgemäß beantwortet werden muss. Manche Fragen könnten tiefer gehen. Manche weisen hin. Auf eine will ich die Antwort nicht hören, obwohl ich die Frage gestellt habe und die Antwort im Voraus kenne.


Das Leben kann auch wie Island sein. Wenn du hinfährst, sagte mein bester Freund, nimm eine Daunenjacke mit. Und eine Softshell. Und Regenkleidung. Und eine Sonnenbrille auch. Meine Sonnenbrille habe ich verloren und eine neue nicht gefunden. Eine Daunenjacke habe ich nicht und auch keine Softshell. Das Licht der Wahrheit ist eine Entscheidung. Der schwarze Fleece und die Skijacke reichen. Die Regenjacke habe ich noch nicht ausgepackt. Die neue Regenhose liebe ich mit Herz, das ist kein Kleidungsstück im Sinne von Gebrauchsgegenstand, und ich weiß nicht, warum das so ist. Gute Fragen im Licht der Wahrheit wäre vielleicht noch: Was man gerade denkt, aber nicht sagt. Wofür man kein Verständnis hat. Was sich nie ändern wird. Ein paar davon wären Fragen an einen selbst. Das Leben ist wie Island, und alles ist eine Entscheidung. Eine bewusste, eine hinterfragte. Eine bestätigte.

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