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  • Lena Gorelik

Island – 20. Mai 2016 – schreiblos

Gestern Abend setzte ich mich an den Computer, um den Blog zu schreiben, ich war müde und lag schon im Bett, aber dann hörte ich den Opernsänger. Der Opernsänger wohnt direkt über mir, und erst dachte ich, dass er eine Opernsängerin ist. Die Vermieterin sagt, er ist ein aufkommender Star. Der aufkommende Star übt den Operngesang immer abends, und da er übte, da dachte ich mir, ich stehe jetzt auch auf und schreibe meinen Blog. Stattdessen las ich den von Ronja von Rönne, das habe ich, glaube ich, bisher nur einmal gemacht, und das war schon ganz richtig so. Ich las dann noch ein bisschen mehr, und dann dachte ich, ich sei zum Blogschreiben zu müde, und schrieb dann einen anderen Text. Über den Text schrieb ich “die wahrheit”, und dann löschte ich das, das war natürlich zu pathetisch, und die Kleinbuchstaben trösteten auch nicht über die Pathetik hinweg. Also ging ich ins Bett.


Was ich sehe: In der blauen Lagune: Menschen, die mich das Menschsein in Frage stellen lassen; alte Frauen mit rührenden Falten; Dampf; dieses Blau, dessen Farbe klebrig ist. In Island: Mondlandschaften, über die ich mich ärgere, als könnten sie persönlich etwas dafür, dass das Herz nicht mehr höher schlägt; Licht über dem Meer, da ist die Sache anders mit dem Herz; Schneeklekse, in die ich hinein rennen will, immer noch; Menschen, die wie Wikinger aussehen, ohne dass sie sich Mühe geben müssen; Im Computer: Bilder, die mich staunen lassen, obwohl schon so häufig; Worte, die ich löschen möchte oder ausdrucken, manchmal im selben Moment; noch mehr Bilder, ein paar davon sind wie festgehaltene Gefühle.


Was ich rieche: Nicht mehr die faulen Eier jedes Mal, wenn ich den Wasserhahn aufdrehe; Aprikosen-Shampoo in den Haaren des Kindes; kein Parfüm; den nervtötenden und beunruhigenden Gestank am Morgen; imaginär: thailänidsches und indisches Essen, Auberginen, Essen, das mir fehlt;


Was ich höre: Den Opernsänger von oben; die Worte, die ich nicht schreibe; die Worte, die ich lese und die nachhallen; Möwengekreische und Wind, während ich versuche, andere Geräusche zu sammeln; Erinnerungen; Sätze, die von Unsicherheit zeugen; Sätze, die hängen bleiben; Gefühle; den Ärger in mir; Fragen und Antworten; wie eine Isländerin mir einen Straßennamen zu buchstabieren versucht, aber die Buchstaben auf Isländisch benennt, so dass ich weder die Straße noch andere, mit denen sie es ebenfalls versucht, finde; das Geräusch, wenn eine Nachricht eintrudelt; das Geräusch, wenn Worte nicht ausgesprochen werden; das Klick einer Kamera; das Klick, wenn jemand sagt, es macht Klick, Klick, Klick; Musik in meinem Rucksack.


Was ich schmecke: Trockenen Fisch, obwohl ich den nicht einmal probiere; eine Sahnesoße über Nudeln; zu viele Karotten in dem Saft in der Blauen Lagune; die ätherischen Öle im Nasenspray, weil ich das Gefühl habe, es ist mittlerweile im ganzen Kopf, auf der Zunge, in den Augen, im Gehirn; Trockenheit, wenn ich nachts aufwache; dass das isländische Leitungswasser süßer ist als das in Deutschland, wenn ich nachts aus dem Bett steige, um der Trockenheit zu entgehen; gleich meine Lieblingskekse; sonst nichts.


Was ich fühle: Die Trockenheit der Hände, Island trocknet Hände aus und nicht nur die; dass Dinge in der Umkehrbarkeit vielleicht mit mehr Geschmeidigkeit funktionieren; nicht den Dampf, den aus der Erde und dem Wasser steigenden, obwohl ich den zu fangen versuche; dass das Schreiben entgleitet und nicht nur das; Ent- wie Verzauberung; dass ich das gut machen möchte; dass ich nicht schreibe; dass ich mir die Tischdecke an dem verschütteten Tabak merken werde, Island in Farben und Augen in dunkel; dass ich das gut mache, manchmal; dass Sätze nicht immer Sinn ergeben und nicht nur sie; dass Erinnerungen die an abschließende Feststellungen sind; dass es eine Sehnsucht nicht im Plural geben kann und nicht nur sie.


Morgens wache ich zu früh auf, der Schnupfen, und muss in diesem Halbwachzustand in Island an die Karibik denken, und kann plötzlich ein Gefühl in klare Worte fassen. Und schlafe dennoch nicht noch mal ein.

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