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Lena Gorelik

Hiddensee. Der Sonntagsausflug.

Steilküste. Fahrrad. Auf dem Deich. Bis Kloster und noch weiter. Der Wind, so scheint mir, kommt erst von hinten, dann von der Seite, dann von der anderen Seite. Wieder feststellen: Sportler oder Menschen, die gerne Sport treiben, sind mir suspekt. Ja, ich bin bereit, in die Pedale zu treten, weil ich wohin will, jetzt gerade zum Leuchtturm. Aber nur in die Pedale zu treten, gegen den Wind, und die Kälte, und die Anstrengung nur um der Abtrennung willen, verstehe ich nicht. Auch nicht das Erfolgserlebnis, tut mir leid. Das geht an alle da draußen, die das brauchen, “ich muss jetzt mal laufen gehen”, tut mir leid, ich kapiere es nicht.


Fahrrad: abgestellt. Hochlaufen. Sich auf eine Bank im Nichts setzen und schreiben. Eine Seite, die entweder fantastisch gut ist oder einfach grottengrottenschlecht. Ist es nicht traurig, dass ich den Unterschied nicht erkenne?

“Ich mag die Pinien, und ich weiß, dass sie so nicht heißen!”, sage ich. “Pinien sind höher”, antwortet C.


Irgendwann erreichen wir ein hölzernes Bett, wahrscheinlich Kunscht. Die berechtigte und offensichtliche Frage, wie viele Menschen auf diesem Bett wohl Sex miteinander haben. Im Sommer viele, im Winter nur die Frischverliebten. Und dann gibt es noch die, die lieber Sex auf der Parkbank daneben haben, um nicht so klischeehaft auf das Bett zurückzugreifen. Vorne der Leuchtturm, weiß und auf eine Postkartenweise schön. Existentielle Fragen auf dem Weg.

Oben bläst der Wind. Mehr Tuba als Trompete. „Du kannst dich an den Wind lehnen“, sagt C., und wir probieren es aus. Ich denke Vlieland, ich denke Irland, aber dann laufe ich gegen den Wind und weiß, so etwas habe ich noch nie erlebt. Ich renne den Hügel hinunter, komme kaum zehn Schritte voran, der Wind zischt in meinen Ohren, laut, als hätte er eine Botschaft, aber kalt ist mir nicht, ein irres Körpergefühl. Sich spüren und so, andere machen Yoga. Ich schreie „Yabba Dabba Doo“ zurück, und auch „Hiddensee“, dieser zischende Wind. Den Rucksack muss ich an einen Baum hängen, damit er nicht wegfliegt samt meinem Laptop. Sich auf die Bank stellen, kaum das Gleichgewicht halten können. Mir fällt dieser Extremsport ein, extreme ironing oder so ähnlich, Verrückte, die auf Berge kraxeln, um oben zu bügeln. (Manche haben zu viel Energie). Extreme writing. Ich schaffe einen Satz, dann tun meine Finger unerträglich weh, außerdem klappt der Laptop-Bildschirm im Wind immer wieder zu.

Wir laufen durch den Wald zurück, und ich beginne, von einer heißen Fischsuppe zu träumen. So eine Art Hiddenseer Bouillabaise.


Hühner im Übrigen, stelle ich fest, als ich sie sehe, frieren nicht. Geben auch kein Geld für Winterjacken, Schals und Handschuhe aus. Wachen morgens auf, picken am Boden herum, haben nicht all diese Gedanken in ihren Köpfchen. Beneidenswert irgendwie.


In Kloster hat alles zu. Sogar das Wieseneck, in dem ich gestern schrieb, Betriebsferien ab heute. Für zwei Wochen oder auf unbestimmte Zeit. Mit dem Fahrrad zurück. Jetzt kommt der Schmerz. Er kommt heftig. Interessanterweise bei mir die Daumen, bei C., auf Nachfrage, die Zeigefinger. Der Schmerz ist wie Zahnschmerzen, aber in den Fingern, derselbe Wunsch, die Wände hochzukraxeln, weil man nicht weiß wohin vor Schmerz. (Handschuhe helfen nicht.) Aber trotzdem weiter radeln müssen, gegen den Wind, Pedale treten, Lenkrad halten, mit beiden Händen, weil, wenn ich eine weg lasse, merke ich, dass Windböen mich mitzunehmen versuchen. Von Abfrieren spricht man bei Kälte, weshalb ich mir immer dachte, da spürt man dann nichts (so wie ich meine Zehen), aber richtige Kälte, wie die an den Daumen, tut nur weh. Aber wie. Kurz vor dem Hotel könnte ich vor Schmerz schreien. Später, als die Kälte den Daumen entweicht, was durch die ganze Hand geht, ein ähnlicher Schmerz.


Fischsuppe im Hotel. Lauchringe, Karottenspalten, Fischstücke, heiße Brühe. Davor und danach heiße Schokolade mit Amaretto, das können die hier auf der Insel richtig gut. Merke erst jetzt, dass das Gesicht, die Beine auch froren. Rotes Gesicht. Obwohl die Kälte, die bleibt.


Sauna auf 18 Uhr bestellt.


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