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  • Lena Gorelik

Corona-Blog Tag 30 / Dienstag

Aktualisiert: 30. Juni 2021

Wie sich die Menschen entzwei teilen, was sie wahrscheinlich schon immer taten, aber die Sichtbarkeit ist seit ein paar Wochen andere geworden. Man kann die Gräben sehen, man kann ihnen dabei zusehen, wie sie breiter werden. Das ist der Fall, weil gerade etwas geschieht, was in den vergangenen Jahrzehnten nicht war: Uns umgibt alle dasselbe Problem, es fängt mit C an, es wird nicht so schnell verschwinden. Es trifft marginalisierte Gruppen immer noch am Stärksten, und dennoch, es geht und schränkt uns alle ein. Es sind nicht mehr Einzelne betroffen, während andere distanziert zusehen können, womit sie einen objektiven Blick gepachtet zu haben meinen, als schauten sie von oben, nicht von gemütlichen Sitzplätzen aus zu. Es sprechen, fühlen, ärgern, sorgen sich alle, niemand kann sagen, mit mir hat Corona aber nichts zu tun.


Und so teilen sich die Menschen entzwei. Man sieht es im Kleinen, man sieht es im Großen. Man sah es am Klopapier, an Nudeln und Mehl auch, man sieht es an Spargelstechern, die dringend einreisen sollen, und an geflüchteten Kindern (ganzen 50!, die die Bundesrepublik aufzunehmen bereit ist), die zu holen nicht genug Zeit ist und nicht genug Kapazitäten sind. Man sieht es an den Reaktionen zum Leopoldina-Bericht: Es gibt jene, denen es nicht schnell genug gehen kann, Ja! Öffnet!, die das Wort „langsam“ übersehen, obwohl es überall steht. Es gibt jene, die bereits die Corona-Toten, die es in drei Wochen geben könnte, berechnen, sollten Lockerungen tatsächlich die morgen verkündete Maßnahme sein.


Ich bin heute U-Bahn gefahren, seit Tagen, vielleicht seit einer Woche wieder. Wieder mehr Menschen, und bei den ersten Stationen fast keine mit Masken. Ich las einen Artikel, blickte auf, vergass beinahe, was gerade ist. Corona. Es ist erst ein schönes, dann ein erschrecktes Vergessen, eines, für das ich mit Erinnerung zahlen muss.


Im Leopoldina-Bericht steht auch die Empfehlung – darauf sei Wert gelegt, es ist eine Empfehlung, die keine Handlungsanweisung ist -, dass Kita-Kinder bis auf den Notbetrieb bis zu den Sommerferien über zuhause bleiben sollen, bei den Eltern. Wie die Eltern bei den Kindern bleiben sollen, steht da nicht, wie sie die Arbeit bewältigen sollen, während sie ihre kleinen, dadurch eben betreuungsintensiven Kindern bei Laune halten und vom Auf-den-Schrank-Klettern abhalten sollen. Wie sie weiterhin den Lebensunterhalt verdienen sollen, wenn sie nicht im HomeOffice arbeiten können, weil es ihr Job nicht erlaubt. Die Verzweiflung, die in Eltern von kleinen Kindern ausbricht: Einer meiner ältesten Freunde ruft an, mit den Nerven am Ende.


Die Kinder haben heute die Nachricht bekommen, dass es morgen eine Videositzung mit ihrer Rotes-Kreuz-Jugendgruppe gibt, da sind sie nach eigener Aussage in die Luft gesprungen. So klangen sie auch, als erzählten sie das aus einer anderen, einer glücklicheren Luft. Sie machen das gut, in den letzten Wochen, sprechen offen darüber, ob und inwiefern sie Schule, Freund*innen vermissen, haben ihren eigenen Corona-Alltag gefunden, sie spielen viel, sind Kinder geblieben, denke ich. Wenn sie so in die Luft springen, weil sie morgen eine Videositzung mit der geliebten Jugendgruppe haben, kann ich eine zuvor nicht in Worte gefasste Sehnsucht sehen, kann ich plötzlich klar umrissen sehen, was fehlt, wogegen auch unsere „guten“ Gespräche nicht zu helfen wissen.

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